Steinmetz oder AI?
Es gibt Probleme, die so alt sind wie die Industrialisierung selbst.
Henry Ford, der als einer der ersten konsequent auf die Fließbandproduktion von Autos setzte, hatte vor über 100 Jahren ein ernstes Problem. Ein neuartiger Generator funktionierte nicht und seine Ingenieure waren ziemlich hilflos. Ford bat schließlich Charles P. Steinmetz, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Elektrodynamik, um Hilfe. Steinmetz war ein deutscher Einwanderer und u. a. mit Einstein, Tesla und Edison befreundet. Der Überlieferung nach setzte er sich in die Produktion von Ford und beobachtete die Ingenieure bei ihrer Arbeit. Dabei achtete er besonders auf die Geräusche des Generators. Von Zeit zu Zeit machte er sich Notizen. Nach ein paar Tagen ließ er sich ein Stück Kreide reichen, kletterte auf den Generator und machte ein Kreuz. Nach kurzer Zeit meldeten die Ingenieure, dass das Problem gelöst sei und die Produktion wieder reibungslos laufe.
Ford, sehr erleichtert, erhielt ein paar Tage später eine Rechnung, die es in sich hatte. 10.000$. Ford verlangte eine Kostenaufstellung und bekam sie. Ein Kreidekreuz anbringen: 1$. Wissen, wo das Kreuz angebracht werden soll: 9,999$. Ford bezahlte die Überlieferungsrechnung klaglos. Einmal zur Einordnung: 10.000$ entsprechen heute etwa 300.000$.
Die Tagesproduktion des Model T betrug in besonders guten Zeiten 9000 Stück pro Tag, was heute, grob geschätzt, über 200.000$ Gewinnausfall pro Tag entsprechen würde. Dieser Verlust wird in heutigen Autofabriken übrigens bei Bandstillstand in weniger als einer Stunde erreicht.
Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass eine Person wie Steinmetz die Stunde der Verzweiflung nutzt, um Geld zu verdienen. Vielmehr wird er einfach eine sehr ähnliche Berechnung angestellt haben. Wertorientierte Preisgestaltung in Reinkultur.
Diese Anekdote ist zu einem festen Bestandteil jeder Sammlung von Ingenieurwitzen geworden. Steinmetz wird in der modernen Version zu einem gerissenen Rentner, der aus purer Verzweiflung noch einmal in die Produktionsabteilung seines ehemaligen Arbeitgebers gerufen wird, um einen Fehler zu finden, der in einer alten Anlage auftritt, mit der keiner der jüngeren Ingenieure vertraut ist.
Jeder Ingenieur, der jemals mit einem solchen Problem zu tun hatte, kann darüber nicht einmal lachen. Ich habe erfahrene Ingenieure gesehen, die nach 1,5 Jahren Arbeit für die Daimler Task Force den Glanz in ihren Augen verloren haben. Sie waren kaputt und fürs Leben gezeichnet, weil sie ein Problem einfach nicht in den Griff bekamen und irgendwann vor lauter Informationschaos und Aktionismus keinen Plan mehr hatten. Übrigens war auch das Management machtlos. Was soll man machen, wenn selbst die Ingenieure, die sich seit Jahren mit der Technik beschäftigen, es nicht mehr hinbekommen? Ähnlich wie bei Ford wurde natürlich ein Steinmetz gesucht, aber leider endete die Geschichte nicht so wie in der Anekdote. Das Problem war vielschichtiger. Bei der politischen Dimension des Ganzen, hätte kein Steinmetz es gerettet. Irgendwann wurde einfach alles unter den Teppich gekehrt, kopiert und auf eine andere Technologie umgestellt.
Was können Sie tun, wenn Sie auf die Kreativität, die Ausbildung und den Einfallsreichtum Ihrer Mitarbeiter angewiesen sind, dies aber nicht ausreicht, um die Technologie zu beherrschen? Entweder man investiert mehr in Personal und hofft, wie schon seit 100 Jahren, dass die Ingenieure oder ein Steinmetz das schon irgendwie hinkriegen, oder man investiert in künstliche Intelligenz, die sehr leicht skalierbar ist.
Mit dem METRIC Framework ist es möglich, die Ursachen von Fehlern zu analysieren. Gibt es Blasen auf einer Folie? Einfach die Maschine, eine zusätzliche Kamera und einen Feuchtesensor an Drift anschließen, und nach einigen Tagen der Datenaufzeichnung können statistisch valide Aussagen darüber getroffen werden, ob und wie ein Zusammenhang zwischen den Parametern und den Folieneigenschaften besteht.
Die meisten hartnäckigen Probleme sind Kombinationen und Wechselwirkungen von Einflüssen, die für Ingenieure nur sehr schwer aufzuschlüsseln sind, vor allem wenn sie nur sporadisch auftreten. Es wird dann einfach hingenommen, dass es in der Fertigung eine gewisse Ausschussquote gibt, auch im Management, dem nichts Besseres einfällt, als große Monitore in der Produktionshalle aufzuhängen, um die Echtzeit-KPIs zu visualisieren. Unter Ingenieuren gibt es das Pareto-Gleichnis der Problemlösung: 80 % der Problemlösung besteht darin, das Problem zu verstehen, oder noch plakativer: Problem erkannt, Problem gebannt.
Wenn Sie davon überzeugt sind, dass diese Art von Problemen nicht der alleinigen Fähigkeit von Ingenieuren überlassen werden sollte und darf, und dass diese Probleme einen erheblichen Teil der Wertschöpfung zerstören können und dass schlummernde Probleme jederzeit existenzielle Krisen auslösen können, wenn neue Technologien eingeführt werden, sollten Sie vielleicht in künstliche Intelligenz investieren, bevor Sie einen Steinmetz brauchen. KI ist hier kein Wunder- und Allheilmittel, sondern einfach eine Bezeichnung für eine Technologie, die es ermöglicht, solche Probleme rein datengetrieben zu lösen.
Seit Beginn der Industrialisierung können Probleme, die überall auftauchen, im Großen wie im Kleinen, die scheinbar akzeptiert und geregelt sind, nun systematisch und ohne Steinmetz'schen Geniestreich oder komplexe Simulationswerkzeuge gelöst werden. Wir bei PANDA bezeichnen die Zeit nach der breiten Einführung von KI in der Produktion als Beyond Productivity.