Die Welt der Fertigung durchläuft derzeit einen Wandel - gemeinhin als "Industrie 4.0" bezeichnet -, der viele Unternehmen vor die Entscheidung stellt, in neue Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), additive Fertigung und cloudbasierte Plattformen zu investieren. Es wird erwartet, dass die Ausgaben für intelligente Fertigungstechnologien bis 2023 um fast 300 Milliarden US-Dollar steigen werden, bei einem jährlichen Wachstum von 12 %. Viele Unternehmen tun sich jedoch schwer, diese Investitionen zu tätigen. In diesem Blog wird erläutert, warum dies bei sehr erfolgreichen und innovativen Unternehmen der Fall ist.
In den vergangenen Jahrzehnten konnte man sich immer darauf verlassen, dass neue Maschinengenerationen immer leistungsfähiger wurden und dass die Herstellungskosten durch neue Verfahren und Materialien immer weiter gesenkt werden konnten.
Die Vor- und Nachteile neuer Technologien, die eine bestehende Technologie direkt ersetzen sollen, können verglichen und soweit wie möglich in technischen Kennzahlen abgebildet werden. Die Einsparungen können in Euro beziffert werden. Was bleibt, ist das technische Risiko, das durch POCs und Kleinserien Stück für Stück reduziert werden kann. Am Ende steht dann oft die Serienfertigung in vollem Umfang. Ein solcher Innovationsprozess kann mehrere Jahre dauern, bis die alten Technologien vollständig abgelöst sind.
So konnten beispielsweise Automobilteile aus technischen Kunststoffen statt aus Metall hergestellt werden. Die Ingenieure mussten Konstruktion und Produktion neu überdenken, da die unterschiedlichen Materialeigenschaften kompensiert werden mussten und völlig andere Maschinen und Verfahren zum Einsatz kamen. Dem gegenüber standen günstige Rohstoffpreise und kürzere Entwicklungszyklen. Die äußere Geometrie und der Zusammenbau der Teile blieben jedoch zunächst sehr ähnlich. Sie stellten also klassische Substitute im Verbau dar. Die Erwartung war klar, sie sollten die gleiche Leistung zu einem niedrigeren Preis erbringen. Das volle Potenzial neuer Technologien wird jedoch nicht bei der Einführung ausgeschöpft, sondern erst dann, wenn die eigenen Fachabteilungen Know-how aufbauen und sich die anfängliche Skepsis und die Schwierigkeiten einer neuen Technologie langsam in die typische Freude an der Optimierung verwandeln. So konnten beispielsweise die Kunststoffteile aufgrund einer flexibleren Konstruktion nun geklipst statt geschraubt werden, was weitere Einsparungen bei der Montage ermöglichte.
Die schrittweise Einführung für erste Produkte und die kontinuierliche Ausschöpfung von Potenzialen war über viele Jahrzehnte quasi der Goldstandard für Innovationen im produzierenden Gewerbe und wird es auch weiterhin sein. Die neuen Technologien (3D-Druck, KI und Cloud) lassen sich jedoch nur begrenzt auf diese Weise einführen und dann schrittweise ausrollen. Der Versuch, dies wie üblich zu tun, führt zu Problemen für Unternehmen, die in diesem Ansatz besonders erfahren sind.
Während die additive Fertigung im Prinzip als Ersatz für eine Fertigungstechnologie angesehen werden kann, ist die Idee der "Losgröße 1" mehr als nur ein Ersatz, denn sie greift die Grundlagen der Idee der Serienfertigung an. Sie stellt einen Bewusstseinswandel in der Art und Weise dar, wie über die Fertigung gedacht wird. Allerdings suchen Unternehmen oft lange nach geeigneten Komponenten, die sich direkt ersetzen lassen. Das ganzheitliche Potenzial der additiven Fertigung wird nicht oder nur sehr langsam ausgeschöpft.
Bei Cloud-Systemen ist die Situation ebenso anders. Fast alle digitalen Start-ups setzen auf Cloud-Lösungen, wenn sie Software vertreiben wollen, weil Software in der Cloud wesentlich weniger Wartung erfordert und Softwarelösungen viel einfacher zu skalieren sind. Auch die Anbindung an andere Systeme ist einfacher als bei einer On-Premise-Lösung. Wenn Sie selbst Softwarelösungen verkaufen, ist die Cloud daher von großer Bedeutung. Aber auch wenn Sie nur Software einsetzen, müssen Sie sich darauf einstellen, dass es aus diesem Grund bald nur noch Lösungen in der Cloud geben wird, was unweigerlich Konsequenzen für die eigene IT haben wird. Einzelne Anwendungsfälle testweise in der Cloud zu implementieren, hilft nicht, den allgemeinen Trend zur Cloud zu bewältigen, der in Zukunft zu sehr hohen Kosten führen wird, wenn die On-Premise-Lösung eines Anbieters ihr Lebensende erreicht. Das volle Potenzial der Cloud-Idee kann nicht kontinuierlich ausgeschöpft werden. Entscheidend ist nur, dass die Software so konzipiert wird, dass sie "Anyware" ausführen kann. Das kann in einer dedizierten Cloud, einer Drittanbieter-Cloud oder on-premise/vor Ort sein, je nach aktueller Wirtschaftlichkeit, aber das Wichtigste: die gleiche Software. Wer seine Software nicht komplett umstellt, hat in Zukunft erhebliche Wettbewerbsnachteile, aber keine Vorteile. Die Verlagerung von Teilanwendungen in die Cloud bietet heute für viele industrielle Anwendungen keine wirtschaftlichen Vorteile. Ähnlich wie bei der additiven Fertigung gibt es keinen natürlichen Roll-out und das Auffinden einzelner Anwendungsfälle bringt nicht automatisch den Stein für weitere Substitutionen in die Cloud ins Rollen.
Bei der KI werden keine physischen Gegenstände ersetzt, sondern intelligente und unterstützende Prozesse, was bedeutet, dass nicht die variablen Fertigungskosten, sondern die Fixkosten optimiert werden und KI somit in die Kategorie einer Investition in ein ERP oder MES fällt.
Wird nur ein partieller Anwendungsfall, z.B. eine Computer-Vision-Anwendung, implementiert und dies von Fall zu Fall, entsteht schnell ein IT-Wildwuchs, und die Wartungs- und Supportkosten sind erheblich. Ob man nun Schweißnähte oder Obst mit KI überwachen will, es ist sinnvoll, nicht nur den konkreten Anwendungsfall zu spezifizieren, sondern z.B. auch den Objekterkennungsalgorithmus von Anfang an als eigenständiges Asset zu betrachten und über seinen Lebenszyklus zu verwalten. Grundsätzlich gilt: Wer bei KI auf Insellösungen für seine Fabrik setzt, ist dem Untergang geweiht. Nur die Ausnutzung von Synergieeffekten führt zu langfristiger Rentabilität. Dies muss auch bei einer Teileinführung berücksichtigt werden.
Das Fehlen eines direkten Stellvertreters ist jedoch nicht alles, was die Entscheidungsfindung im Unternehmen erschwert.
Was die Strategie anbelangt, so wird das Topmanagement von Beratern und anderen professionellen Dienstleistungsunternehmen beraten, die nur wenig empirische Erfahrung mit den Technologien im Verkaufsraum haben. Die operativen Führungskräfte hingegen haben mit Anbietern von spezifischen Branchenlösungen und deren Empfehlungen zu tun. Dabei handelt es sich jedoch meist um verbesserte Lösungen, die dem Gedanken der kontinuierlichen Verbesserung und Innovation folgen.
Während die Geschäftsleitung beispielsweise mit bekannten Cloud-Anbietern über Cloud-Themen diskutiert und bereit ist, mit neuen Partnern ins Geschäft zu kommen, obwohl diese zwar über eine starke Technologie, aber weder über spezielles Domänen-Know-how noch über geschäftsrelevante Anwendungsfälle verfügen, setzen die Betriebsleiter eher auf verbesserte, bekannte Lösungen ihrer vertrauten Lieferanten, die andererseits kaum glaubhaft machen können, dass sie vergleichbare Lösungen zum Thema Software anbieten können.
Zwischen dem strategisch denkenden Management und der operativ denkenden Betriebsleitung landen diese Anbieterpräferenzen in langen, politischen Konzeptphasen und verzögern wichtige Investitionsentscheidungen.
Die Entscheidungsträger müssen eine ROI-Berechnung für Investitionen durchführen. Ist dies nicht möglich, handelt es sich automatisch allenfalls um ein F&E-Thema, so dass es auch aus diesem Budget verwaltet werden muss.
Heute ist es jedoch so, dass für alle drei Technologien keine Forschung oder Entwicklung mehr notwendig ist und Lösungen gekauft und Experten eingestellt werden können. Das F&E-Budget wird jedoch in der Regel dazu verwendet, um durch Vorentwicklung genügend Wissen zu erwerben, damit eine Build-or-Buy-Entscheidung im Interesse des Unternehmens getroffen werden kann. F&E ist aber immer dann gut, wenn es sich um kleinere und abgegrenzte Technologiethemen handelt.
Nur eines von fünf bis eines von zehn solcher FuE-Projekte geht in Serie. Und das ist auch gut so. Das gehört zu einem guten Innovationskonzept. Aber gilt das auch für die drei Technologien? Gibt es für jede der Technologien nur eine 10%ige Chance, in die Serie zu kommen? Wenn die Chancen größer als 10 % sind, dass man in Zukunft nicht darauf verzichten kann, wenn man keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden will, dann sind Investitionen in KI, Cloud und additive Fertigung keine F&E-Angelegenheiten, sondern unternehmerische Entscheidungen. Die Entscheidung, diese Technologien auf einen Schlag in völlig neuen Fabriken einzuführen, liegt zwar auf der Hand, schafft aber für besonders erfolgreiche Fertigungsunternehmen ein weiteres Problem.
Die Vorstellung, dass eine intelligente Fabrik einfach durch den Einsatz dieser Technologien erreicht werden kann, ist zu einfach. Fertigungsunternehmen fangen nicht bei Null an und bauen auch nicht ständig neue Fabriken auf der so genannten grünen Wiese. Wer darauf wartet, dass ein solches Projekt entsteht, und diese Fabrik dann auf besonders intelligente Weise einrichtet, verpasst die Chance, auf der grünen Wiese zu lernen. Gerade sehr erfolgreiche Unternehmen sind es gewohnt, neue Technologien schrittweise einzuführen, so dass die notwendigen, empirischen Erfahrungen und das neu zu erwerbende Know-how Zeit haben, sich natürlich zu entwickeln.
In der Fertigungsbranche gab es seit den 1990er Jahren keine radikalen Neuerungen, wie sie sich jetzt mit KI, Cloud und additiver Fertigung abzeichnen, sondern nur inkrementelle Optimierungen. Dennoch haben die Unternehmen in den letzten Jahrzehnten Milliarden in die Einführung agiler Methoden, Enterprise Resource Management und anderer IT-Systeme wie MES und digitale Zwillinge investiert, um den nächsten großen Sprung zur Verbesserung der Prozessabläufe, zur Erhöhung der Transparenz und zur Ermöglichung einer bedarfsgerechten und rentablen Fertigung zu erreichen. Doch viele Hersteller haben es versäumt, den vollen Nutzen aus diesen Investitionen zu ziehen, oder sie haben einfach nicht die grundlegenden Probleme gelöst, die angegangen werden mussten. Dies führt zu einer Innovationsmüdigkeit, insbesondere bei erfolgreichen Unternehmen, die in letzter Zeit besonders viel in diesen Bereich investiert haben. Schließlich erwartet man von großen Anstrengungen auch große Erfolge. Jetzt plötzlich drei neue oder weitere Revolutionen auf einmal angehen zu müssen, die scheinbar aus heiterem Himmel aufgetaucht sind, ist für viele ein wenig entmutigend. Schließlich sind sie immer noch mit den Themen beschäftigt, die bereits in Angriff genommen wurden, und die notwendigen Ressourcen und klugen Köpfe sind somit weiterhin gebunden.